Ein Derivat ist ein Finanzinstrument, dessen Wert von einem Basiswert (Underlying) wie Aktien, Anleihen, Rohstoffen, Währungen oder Indizes abgeleitet wird und die überproportionale Spekulation auf diesen Basiswert - beispielsweise eine Aktie - ermöglicht. Derivate sind also im weitesten Sinne Spekulationsobjekte. Der fundamentale Unterschied zum Basiswert selbst ist bei einem Derivat, dass es über eine Hebelfunktion verfügt.
Da es viele verschiedene Arten von Derivaten gibt, die alle mit ihren teils einzigartigen, zusätzlichen Eigenschaften aufwarten, möchten wir uns also in diesem Kapitel zunächst einmal diesen sog. Hebel genauer anschauen, bevor wir die einzelnen Arten von Derivaten unter die Lupe nehmen.
Eine Übersicht verschiedener Arten von Derivaten, darunter CFDs, Futures, Optionen sowie Knock-Out-Zertifikate.
Derivate auf Basiswerte wie bspw. die Firma Tesla wachsen logischerweise nicht auf Bäumen. Genau so wenig werden sie von Tesla selbst ausgegeben. Derivate werden meist von Banken, spezialisierten Finanzinstituten oder Börsen herausgegeben. Diese Herausgeber des Derivats nennen wir "Emittenten". Diese Emittenten erstellen die Derivate, um Investoren und Händlern die Möglichkeit zu geben, auf Preisbewegungen von Basiswerten zu spekulieren oder sich gegen Risiken abzusichern.
Ein Hebel gibt den Multiplikator an, der auf die preisliche Bewegung des Basiswerts angewendet wird, um dadurch die preisliche Bewegung des Derivats zu berechnen. Zu kompliziert? Lasst uns ein Beispiel betrachten: Eine einzelne Tesla-Aktie ist zurzeit 100 Euro wert. Wir betrachten ein Derivat, das über einen Hebel von 2,50 verfügt. Als neugieriger Anleger nehmen wir 100 Euro in die Hand und investieren sie in das genannte Derivat. Nun steigt die Tesla-Aktie auf 110 Euro – also um 10 %. Diese 10 %, also 0.1, multiplizieren wir, genau wie soeben beschrieben, mit dem Hebel: Wir erhalten 0.1 * 2.50 = 0.25 = 25 %.
Würden wir mit der Tesla-Aktie 100 % Gewinn machen und so unseren Invest verdoppeln, so machen wir mit dem Derivat 250 % Gewinn. Der Hebel gibt also das Vielfache an, um das sich unser Gewinn – oder Verlust – multipliziert, wenn sich die Aktie selbst bewegt.
Was auf dem allerersten Blick verlockend klingt, sollte bereits bei kurzer Bedenkzeit eine wichtige Frage aufwerfen: Was, wenn diese stolze Bewegung nicht positiv sondern negativ verläuft? Auch negative Bewegungen des Basiswerts werden mit dem Hebelwert multipliziert und wirken sich dementsprechend fataler auf die Wertentwicklung unseres investierten Kapitals aus. Betrachten wir erneut unser oben genanntes Beispiel, so verliert unser Derivat auch 25 % statt nur 10 % seines Werts, wenn die Tesla-Aktie um 10 % an Wert verliert.
Im Falle unseres Beispiels wären wir tatsächlich um 25 Euro beim Emittenten des Derivats verschuldet. Würden wir nicht über einen Broker mit Hauptsitz in Deutschland handeln, würden wir nun einen Anruf, eine Aufforderung per Mail oder eine direkte Einzahlungsaufforderung in unserem Depot erhalten, die uns darauf hinweist, dass wir das verschuldete Kapital "nachschießen" müssen, damit unser Trade nicht geschlossen wird.
Wie soeben formuliert trifft dies allerdings nur zu, wenn wir über einen Broker handeln, dessen Hauptsitz nicht in Deutschland liegt: Die Nachschusspflicht wurde nämlich am 10. August 2017 durch die BaFin (die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht) deutschlandweit verboten. Es ist also nicht möglich für uns, Verluste über den Rahmen unseres investierten Kapitals hinaus zu generieren, was es unmöglich macht, uns zu verschulden.
Sollte der Fall eintreten, dass unser Derivat 100 % seines Werts verliert, verfällt unser Derivat und wir erleiden einen Totalverlust des investierten Kapitals. Im Falle unseres Beispiels wäre das der Fall, wenn die Tesla-Aktie 40 % niedriger steht als zu unserem Kaufzeitpunkt: An diesem Punkt haben wir nämlich -0.4 (-40 %) * 2,50 (unser Hebel) = -100 % eingefahren.
In der Nische der Derivate und besonders im Kontext sog. KO-Zertifikate sprechen wir hier von der "Knock-Out-Schwelle".
Diese KO (Knock-Out)-Schwelle lässt sich ganz einfach berechnen. Wir teilen dazu 100 durch den Hebel des Derivats, für das wir uns interessieren und erhalten dadurch den Prozentsatz an Verlust im Basiswert gegenüber dessen Preises zum Kaufzeitpunkt, zu dem wir einen Totalverlust unseres Kapitals erleiden. Erneut an unserem Beispiel bemessen bedeutet dies, wir rechnen: 100 / 2,50 = 40 (%).
Verliert die Tesla-Aktie selbst also 40 % an Wert gegenüber des Preises, den sie zum Zeitpunkt des Kaufs unseres Derivats hatte (zur Erinnerung, dies waren 100 Euro), ist sie nur noch 60 Euro wert, wir haben allerdings 40 * 2,50 = 100 % Verlust erlitten und werden somit "ausgeknockt". Besonders Derivate mit hohen Hebeln sind deshalb sehr riskant und können schnell bei bereits nur mittelmäßig starken Korrekturen zum Verlust unseres gesamten, eingesetzten Kapitals führen.
Falls ich euch bis hierher nicht verloren habe, Hut ab! Dennoch liest sich dieses Kapital wie eine ellenlange Warnung vor Derivaten, die es gar nicht sein soll. Dennoch ist bei ihrer Benutzung höchste Vorsicht geboten. Allemal empfehle ich niemandem, der gerade seine ersten Erfahrungen an der Börse sammelt, Derivate zu nutzen. Derivate sind im besten Falle ein Werkzeug für Profis, die auf Basis eines festen Systems mit stochastischer Grundlage für ihre Trades das Maximum aus ihrem Kapital herauskitzeln möchten.
Auch, wenn ich mich persönlich als Experte für Wertpapiere bezeichnen würde, habe ich selbst nur einen sehr geringen Teil meines Vermögens über Derivate aufgebaut. Ich selbst lege meinen Fokus stark auf die Recherche und die Identifikation von massiv unterbewerteten Unternehmen am herkömmlichen Aktienmarkt. Ich investiere nicht in Unternehmen, denen ich nurmehr ein leichtes Wachstumspotenzial zuspreche, investiere dafür aber auch dementsprechend selten, da sich Jahrzehnts-Chancen nicht jeden 2. Dienstag aufmachen.
In dieser Identifikation einmaliger Chancen war ich historisch sehr erfolgreich und konnte mein investiertes Kapital in diesen meines Erachtens massiv unterbewerteten Unternehmen oftmals vervielfachen – ohne das imminente Risiko eines Totalverlusts. Selbstverständlich kann auch das Unternehmen, mit dem ich "liebäugle" in die Insolvenz rutschen, dies ist jedoch realistisch betrachtet um ein Hundert- wenn nicht Tausendfaches unwahrscheinlicher als bei einem Derivat.
Genau weil ich also der Ansicht bin, dass sich durch das Investieren in stark unterbewertete Unternehmen bereits hohe, prozentuale Renditen erwirtschaften lassen, bin ich der Meinung, dass das Investieren in Derivate nur eines deutlich macht: Ein Kapitalproblem. Wer glaubt, ein solches Risiko eingehen zu müssen, weil ihm oder ihr die zwei- bis dreistelligen prozentualen Zugewinne im Jahr nicht ausreichen, der verfügt schlichtweg über zu wenig Kapital. In diesem Fall erachte ich es als deutlich sinnvoller, sich auf das Anheben seines Einkommens oder die Suche nach zusätzlichen Einkommenssträngen zu konzentrieren, statt sein begrenztes Kapital nur noch weiter zu riskieren.
Nichtsdestotrotz möchte ich das Konzept und die Funktionsweise von Derivaten auf Wunsch vieler meiner Kunden dennoch so detailliert wie möglich erklären und werde dies in den beiden folgenden Kapiteln tun.
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